Weltweit sind Genf, La Chaux-de-Fonds und Le Locle wohlklingende Namen in den Ohren von Uhrenliebhabern. Schließlich haben dort einige der renommiertesten Luxusuhrenhersteller ihren Sitz. Dies gilt auch für das sächsische Uhrenstädtchen Glashütte. Doch wer erinnert sich noch an die Bedeutung, die Orte wie Pforzheim und Schwenningen einmal für die Uhrenbranche hatten? In diesem Beitrag werfen wir einen Blick auf Deutschlands vergessene Uhrenstädte.
Vom Ursprung der deutschen Uhrenindustrie im Schwarzwald
Beim Stichwort Luxusuhren denken die meisten Uhrenliebhaber heute fast automatisch an die Schweiz. Und in der Tat ist die Alpenrepublik heute einer der führenden Uhrenhersteller und -exporteure der Welt. Gemessen am Gesamtwert der produzierten und exportierten Uhren dürfte sie nach wie vor an erster Stelle liegen; orientiert man sich hingegen rein an den hergestellten und verkauften Stückzahlen, so dürften eher fernöstliche Hersteller auf den Spitzenrängen zu finden sein. Nur wenige Uhrenkenner, die sich etwas intensiver mit der Historie beschäftigt haben, wissen heute noch um die führende Stellung an den internationalen Uhrenmärkten, die deutsche Uhrenhersteller einst innehatten. In diesem Zusammenhang waren seinerzeit gleich mehrere deutsche Städte als Zentren der Uhrenindustrie weltweit bekannt.
Besonders erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang der Schwarzwald, wo schon in vorindustrieller Zeit Uhren in großen Stückzahlen hergestellt und in zahlreiche Länder exportiert wurden. Wann genau im Schwarzwald mit der Uhrmacherei begonnen wurde, lässt sich heute nicht mehr genau nachvollziehen. Es gilt jedoch als sicher, dass die ersten Schwarzwälder Uhren – damals noch aus Holz bestehend – bereits in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstanden sind. Aufgrund von kriegerischen Auseinandersetzungen in der Region dauerte es jedoch noch bis etwa 1730, bis sich die Herstellung von Uhren dort Gewerbe mit nennenswertem Umfang etablieren konnte.
Von der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts spielte die Uhrenindustrie jedoch eine wichtige Rolle weit über die Grenzen des Schwarzwaldes hinaus. Wenngleich neben den anfangs dominierenden Stand- und Wanduhren später auch Taschen- und Armbanduhren produziert wurden, spielten Großuhren und Wecker dort jedoch insgesamt immer eine größere Rolle.
Industrialisierung und weltweite Expansion
Schon die aus Holz gefertigten Schwarzwälder Uhren des 18. und 19. Jahrhunderts verkauften sich sowohl im Inland als auch auf ausländischen Märkten so gut, dass Schwarzwälder Produkte bald eine dominierende Marktstellung erlangten. Die Wahl von Holz als Material für die Uhrenherstellung hatte übrigens nicht primär technische Gründe und war auch nicht in erster Linie der guten Verfügbarkeit dieses Materials in waldreichen Gegenden zu verdanken.
Diese beiden Faktoren haben die Entwicklung sicherlich begünstigt, doch die entscheidende Rolle dürften die damaligen zunftrechtlichen Regelungen gespielt haben.
Während die Fertigung von Uhren aus Metall gemäß den Zunftregeln allein den städtischen Uhrmachern vorbehalten war, galten für die Holzuhrmacherei keine derartigen Beschränkungen. Dass sich Schwarzwälder Holzuhren an den internationalen Märkten schneller und besser durchsetzen konnten als vergleichbare Produkte aus anderen Regionen, lag an einer weiteren Besonderheit der Schwarzwälder Uhrmacher. Früher als anderenorts setzte man hier auf eine konsequente Arbeitsteilung. So wurde eine Uhr nicht mehr komplett von einem Uhrmacher allein hergestellt, sondern aus Zeilen zusammengesetzt, die von unterschiedlichen, entsprechend spezialisierten Zulieferern stammten.
Im Zuge dessen bildeten sich eigene Berufsbilder heraus – wie beispielsweise Gestellmacher, Kettenmacher, Schilderdreher, Schildermaler und andere mehr. Die Arbeitsteilung und die Entwicklung von neuen Herstellungsverfahren erlaubten eine deutliche Steigerung der Produktivität. Gleichwohl fand die Produktion noch bis deutlich über die Mitte des 19. Jahrhunderts in zahlreichen Kleinwerkstätten statt, die in die Wohnhäuser integriert waren und deren Inhaber fast immer auch noch mehrere Gesellen und Lehrlinge beschäftigten.
Um 1840 wurden im Schwarzwald von rund 1000 Werkstätten insgesamt etwa 600000 Holzuhren im Jahr hergestellt, was damals einem Großteil der weltweiten Produktion entsprach. Ab 1880 folgte dann ein relativ schneller Übergang zur industriellen Uhrenfertigung, nachdem sich bereits zuvor immer stärker abgezeichnet hatte, dass die zahlreichen Kleinstbetriebe in dieser Form nicht mehr bestehen können würden und immer mehr größere Werkstätten entstanden waren.
Im Schwarzwald entstehen Uhrenfabriken und Uhrenstädte
Erste Uhrenfabriken im eigentlichen Sinne waren zunächst im zu Baden gehörenden Teil des Schwarzwaldes entstanden und hatten sich auf gut erreichbare Standorte konzentriert, die gegebenenfalls auch noch die Möglichkeit zur Wasserkraftnutzung boten. Solche Uhrenstädte waren insbesondere Furtwangen, Lenzkirch, St. Georgen, Titisee-Neustadt und Triberg.
Nach 1880 verlagerte sich die Uhrenindustrie im Schwarzwald zunehmend in dessen württembergischen Teil und auf die Baar, eine Hochebene, die Schwarzwald und Schwäbische Alb miteinander verbindet.
Weltweite Bekanntheit als Zentren der Uhrenindustrie erlangten vor allem Schramberg und Schwenningen, aber auch Pforzheim. In Schramberg war dies vor allem der erfolgreichen Expansion der Firma Junghans sowie der ebenfalls hier ansässigen Hamburg-Amerikanischen Uhrenfabrik zu verdanken.
Bedeutende Uhrenhersteller in Schwenningen waren hingegen die Firmen Kienzle und Mauthe, aber auch die Württembergische Uhrenfabrik Bürk und ISGUS, die vor allem Kontrolluhren herstellten. Parallel zur Entstehung und zum Wachstum der Industriebetriebe verloren die Kleinbetriebe immer mehr an Bedeutung. Industrielle Massenproduktion, die sich an amerikanischen Vorbildern orientierte, bestimmte nun das Geschehen. Die verschiedenen Einzelteile der Uhren wurden für eine möglichst zeitsparende Montage optimiert.
Als besonderer Meilenstein sollte sich das von Junghans in Schramberg zu Beginn der 1880er Jahre entwickelte Weckerwerk W10 erweisen.
Dessen Erfolg trug maßgeblich dazu bei, dass die Firma aus Schramberg um 1900 zum größten Uhrenhersteller der Welt aufstieg. Die mit diesem Werk oder daran orientierten Nachbauten anderer Schwarzwälder Hersteller ausgestatteten Wecker entwickelten sich zu den preisgünstigsten und gefragtesten Modellen auf dem Weltmarkt – wie einige Jahrzehnte zuvor bereits die Schwarzwälder Holzuhren.
Transformation und Niedergang – Uhrenstädte in Kriegs- und Quarzkrisen
Der Erste Weltkrieg brachte die deutsche Uhrenproduktion fast vollständig zum Erliegen und traf die Uhrenstädte insofern schwer. Mit der Produktion von Zeitzündern und anderen Rüstungsgütern konnten sich Hersteller wie Junghans in Schramberg oder Kienzle in Schwenningen zwar alternative Geschäftsfelder erschließen, doch die wirtschaftliche Krise und die politischen Veränderungen in der Nachkriegszeit belasteten die Branche und die regionalen Uhrenstädte erheblich, und bis in die frühen 1930er Jahre hinein sahen sich zahlreiche Schwarzwälder Hersteller gezwungen, Konkurs anzumelden und ihre Betriebe zu schließen.
In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg konnte die Uhrenbranche der Region nicht mehr an ihre alten Erfolge anknüpfen. Während zunehmend billige Massenware aus Asien auf den Markt drängte, konzentrierte sich die Nachfrage im Luxussegment immer mehr auf renommierte Hersteller mit Sitz in Genf, Le Locle oder La Chaux-de-Fonds. Mitte der 1970er Jahre – im Zuge der sogenannten Quarzkrise – folgte eine zweite Konkurswelle, die vor allem auch Zulieferer betraf.
So kommt es, dass eine Reihe deutscher Uhrenstädte in Vergessenheit geriet und Namen wie Schwenningen oder Pforzheim heute selbst unter Uhrenkennern kaum noch entsprechende Assoziationen auslösen.
Deutsche Uhrenstädte heute
Pforzheim ist heute vor allem als Standort der Schmuckindustrie bekannt, die Uhrenproduktion spielt dort jedoch eine eher untergeordnete Rolle. Schramberg ist als Sitz von Junghans nach wie vor vielen Uhrenfans ein Begriff – nicht zuletzt wegen der Pionierrolle dieses Herstellers bei der Entwicklung von Produkten wie Solar- und Funkuhren. Deutsche Uhrenstädte, die außerhalb des Schwarzwaldes liegen, haben häufig eine ähnliche Entwicklung durchlaufen.
Im thüringischen Ruhla war seit 1890 mit der “Rühler Kartoffel” die erste maschinell hergestellte Taschenuhr produziert worden. Uhren werden in Ruhla zwar auch heute noch hergestellt, doch mangels namhafter Anbieter, die auch im Luxussegment Präsenz zeigen, wird der Ort überregional kaum noch als Uhrenstadt wahrgenommen.
Eine erfrischende Ausnahme stellt das sächsische Glashütte dar, wo sich ebenfalls schon im 19. Jahrhundert eine leistungsfähige Uhrenindustrie entwickelt hatte, die ihre Bedeutung niemals ganz verlor und nach der Wiedervereinigung Deutschlands an ihre früheren Erfolge anknüpfen konnte.
Heute ist Glashütte wohl der einzige deutsche Standort, an dem gleich mehrere international bekannte Luxusuhrenhersteller produzieren, die ihren Wettbewerbern aus Genf, Le Locle und La Chaux-de-Fonds an den internationalen Märkten durchaus Paroli bieten können.
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