« Uhrenhersteller in Zeiten von Corona »
Die Auswirkungen des Coronavirus machen sich in sämtlichen Bereichen der Uhrenbranche bemerkbar: Nachdem Ende Februar die beiden großen Messen Baselworld und Watches and Wonders (vormals SIHH) abgesagt wurden, folgten mehrere Hersteller mit kurzzeitigen Produktionsstopps zum Gesundheitsschutz ihrer Mitarbeiter. Als langfristige Konsequenzen der Pandemie zeichnen sich die Verschiebung von Neuvorstellungen und die stärkere Bedeutung digitaler Vertriebswege ab.
Zehn Tage oder mehr: Schließung der Manufakturen
Fast zeitgleich verkündeten mehrere Hersteller die temporäre Schließung ihrer Werke: So gab Rolex am 17. März bekannt, seine Produktion in Genf, Biel und Crissier für zehn Tage bis zum 27. März einzustellen. Wie CEO Jean-Frederic Dufour in einem Brief an seine Mitarbeiter erklärte, werde damit der notwendige Schritt zur Sicherheit der Angestellten geleistet und den Empfehlungen der Schweizer Regierung gefolgt.
Einen Tag später zog Patek Philippe nach und gab die Aussetzung seiner Produktion vom 19. bis zum 27. März bekannt. Andere Hersteller wie Audemars Piguet, aber auch die LVMH-Marke Hublot und die High-End-Manufaktur MB&F fuhren ebenfalls die Kapazitäten herunter und legten sich auf keinen bestimmten Termin zur Wiederaufnahme der Fertigung fest.
Da es sich bei den Schließungen um erweiterte Vorsichtsmaßnahmen und nicht etwa eine Vorschrift der Regierung handelt, entscheiden die Unternehmen selbst über den Zeitraum ihrer Produktionsstopps. Weil in den Fällen von Rolex und Patek Philippe keine aktuelleren Informationen bekannt sind, ist aktuell (Stand: 11.04.) von einer Fortführung der Herstellung seit dem 28. März auszugehen. Bei anderen Herstellern scheint eine baldige Rückkehr zur Produktion sehr wahrscheinlich, falls diese noch nicht eingetreten ist. Von Normalität kann aber selbst danach noch keine Rede sein, vor allem in Hinblick auf geplante Neuvorstellungen.
Keine Messen: Präsentationen verschoben
Die Schwierigkeit für viele Marken liegt im gleichzeitigen Ausfall beider großer Messen. Normalerweise hätten die Baselworld und Genfer Watches and Wonders als renovierte, zeitlich zusammengelegte Veranstaltungen eine innovative Plattform zur Präsentation neuer Uhren bereitgestellt.
Jetzt, da die Events vom 25. April bis 5. Mai nicht stattfinden werden und auf 2021 verschoben sind, müssen die Marken ihre eigenen Wege verfolgen. Dabei beobachten wir sehr unterschiedliche Ansätze: So zeigt sich Patek Philippe besonders vorsichtig und hat die Vorstellung seiner neuen Modelle vorerst auf 2021 verschoben. Verständlich, denn neue Ereignisse könnten jederzeit zur Streichung eines verfrühten Termins führen. Eine bedachte Strategie, der auch andere Unternehmen wie beispielsweise Rolex folgen könnten.
Andere Uhrenmarken setzen auf eine digitale Präsentation ihrer neuen Editionen. Dabei zeigt sich, dass uns trotz Krise einige spannende Neuerungen wie beispielsweise die Hublot Big Bang Integral erwarten: Ausgestattet mit integriertem Armband, bringt das mindestens 20.000 Euro teure Luxusmodell frischen Wind in die Produktpalette aus Nyon. Breitling hingegen setzt seine aktuelle Serie erfolgreicher Re-Editions mit der Top Time Limited fort, die einen auffälligen Klassiker der Sechziger wiederbelebt.
Und Tag Heuer erweitert seine beliebte Diver-Familie mit der GMT Edition der Aquaracer Kollektion um ein funktionales Zwei-Zeitzonen-Modell. Beispiele, die angesichts der aktuellen Ausnahmesituation besonders erfreulich sind: Sie zeigen, dass wenigstens ein Teil der alten Normalität geblieben ist und geben Hoffnung auf eine baldige Besserung.
Digitale Vertriebswege auf den Vormarsch
Neben der Vorstellung neuer Zeitanzeiger ist auch deren Verkauf sehr stark von der Pandemie betroffen. Dabei könnte die vorübergehende Schließung von Juwelieren und Fachhändlern vor allem mit langfristigen Effekten einhergehen – zum Beispiel, wenn Kunden in diesen Tagen den Online-Handel für sich entdecken und zukünftig an diesem Vertriebsweg festhalten.
Ein Wandel, der einige Hersteller zu bisher unvorstellbaren Maßnahmen zwingt: So erlaubt Patek Philippe wegen des Shutdowns einer Vielzahl seiner Händler den Online-Verkauf. Damit folgt die Genfer Traditionsmarke dem Beispiel vieler anderer Hersteller, die erst in den letzten Jahren auf das Thema E-Commerce aufmerksam geworden sind. Vorbei die Zeiten, in denen der einzige Weg zur Luxusuhr ins Fachgeschäft führte. Es scheint, als würde die Krise zur Beschleunigung eines ohnehin schon fälligen Wandlungsprozesses beitragen.
Uhrenbranche in Gefahr? Die Folgen der Krise
Mit ihrem stärkeren Fokus auf den Internethandel vollziehen konservative Hersteller eine Veränderung, die zu Zeiten des Coronavirus überlebenswichtig ist.
Wären alle Geschäfte und der Online-Vertrieb gleichzeitig geschlossen, so könnte der wochenlange Shutdown fatale Auswirkungen bis hin zur Insolvenz einiger Unternehmen haben.
Aber dazu wird es nicht kommen. Denn in der bisherigen Phase der Krise haben große wie kleine Player der Uhrenbranche unter Beweis gestellt, dass gesellschaftliche Verantwortung mit wirtschaftlicher Weitsicht vereinbar ist. Eine Verbindung, die auch in zukünftig schwierigen Phasen des Wirtschaftszyklus von entscheidender Bedeutung sein wird. Gehen die Hersteller also gestärkt aus der aktuellen Situation hervor? Es wäre zumindest eine realistische Annahme.
Wie es jetzt weitergeht
Für die Uhrenbranche hat die nähere Zukunft jetzt höchste Priorität. Es gilt, die Krise auf digitalem Wege zu überwinden und die Rückkehr zur Normalität vorzubereiten. Wann genau das geschehen wird, ist trotz verlangsamter Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus in Deutschland und der Schweiz nicht absehbar. Zunächst ist vorgesehen, die Baselworld auf den Zeitraum vom 28. Januar bis 2. Februar 2021 zu verschieben; für die Watches and Wonders Geneva 2021 ist noch kein genauer Termin vorgesehen.
Diese Messen werden als entscheidender Schritt dienen, um die Marken zur medialen Aufmerksamkeit der Prä-Corona-Zeit zurückzuführen. Es gibt Kritiker, die das Konzept der Messe schon vor Jahren für tot erklärt haben. Jetzt, wo die großen Events fehlen, wird die hohe Bedeutung der klassischen Veranstaltungen deutlicher denn je. Für manche Dinge ist der Online-Handel eben kein Ersatz.