Paris, 21. Mai 1927: Charles Lindbergh schreibt mit dem weltweit ersten Nonstop-Transatlantikflug Geschichte. Nur wenig später entwickelt der legendäre Pilot zusammen mit Longines die Lindbergh Stundenwinkeluhr, eine der berühmtesten Fliegeruhren aller Zeiten. Für lange Flugstrecken konstruiert, ermöglicht sie eine schnelle und simple Längengradberechnung am Handgelenk. Heute zählt der als Hour Angle bekannte Zeitanzeiger zur Heritage Kollektion des Schweizer Herstellers und macht die abenteuerlichen Leistungen Lindberghs greifbar.
33 Stunden über dem Atlantik
Die Entstehung der Stundenwinkeluhr könnte nicht enger mit der berühmten Atlantik-Überquerung des 1902 geborenen Piloten verbunden sein. Lindbergh, ein Sohn schwedischer Einwanderer, erlebt die Anfänge der Luftfahrt in seiner eigenen Jugend mit und sammelt seine ersten Cockpit-Erfahrungen bei der US-Armee. Kenntnisse, die er am Morgen des 20. Mai 1927 dringender benötigt als je zuvor:
Ausgestattet mit über 1.700 Litern Treibstoff und nur einem Motor, startet er seinen spartanischen Schulterdecker “Spirit of St. Louis” vom New Yorker Roosevelt-Flugplatz in Richtung Paris. Weil der gigantische Tank die Sicht blockiert, kann Lindbergh während des 33-stündigen Fluges nur durch ein Periskop auf Sicht fliegen.
Trotz aller Schwierigkeiten führt das Abenteuer zum Erfolg: Die Welt ist begeistert, der Pilot wird zum Held. Nicht nur die damals riesige Preisausschreibung von 25.000 Dollar, sondern auch die Medal of Honor darf Charles Lindbergh sein Eigen nennen.
Vom Entwurf zum Erfolg: Die Lindbergh Stundenwinkeluhr
Fest steht, dass der Abenteurer während seines Fluges – neben Kompass und Geschwindigkeitsmesser – eine Armbanduhr zur Positionsbestimmung benutzt. Das Modell ist bis heute unbekannt, aber besonders zufriedenstellend kann es nicht gewesen sein: Anfang 1931 schickt er die Skizze einer eigenen Fliegeruhr an John P. V. Heinmüller, den Präsidenten der amerikanischen Longines-Sparte.
Lindberghs Inspiration ist die Weems Navigation Watch, die 1927 vom Navy-Offizier und Navigationslehrer Philip van Horn Weems entwickelt wurde und als erste Fliegeruhr der Geschichte gilt. Ihr zentrales, drehbares Hilfszifferblatt dient als Vorbild für jenen Mechanismus, der eine exakte Längenbestimmung bei Lindberghs Entwurf erlauben soll. Für Heinmüller sind die Ideen Lindberghs ein Geschenk:
Der Pilot ist Anfang der 1930er-Jahre ein Superstar, dessen Name allein für eine erfolgreiche Vermarktung ausreicht. Nur fünf Monate vergehen von der Skizze bis zur ersten Produktion der Stundenwinkeluhr im Sommer 1931. Ihre Nachfrage ist groß: Knapp 5.000 Exemplare werden in den ersten Jahren an Piloten und Fluglinien verkauft.
Neben der innovativen Längengradberechnung spricht auch eine solide Mechanik für die Hour Angle, deren Uhrwerk dank Breguet-Spirale eine hohe Präzision erreicht. 1938 bekommt der 47 Millimeter große Bolide ein neues Kaliber, aber das Erfolgskonzept mit überdimensionaler Krone und hervorragender Ablesbarkeit bleibt gleich. Wer heute ein gut erhaltenes Exemplar der originalen Longines Lindbergh Stundenwinkeluhr aus den Dreißigern kauft, legt nicht selten fünfstellige Beträge auf den Tisch.
Rückkehr als Liebhaberstück
Ab den 1940er-Jahren entwickelt sich die Navigationstechnik so schnell weiter, dass die Lindbergh Stundenwinkeluhr überflüssig wird. Sie verschwindet in den Geschichtsbüchern und soll über vier Jahrzehnte dort bleiben.
1987 dann das große, oder besser gesagt, kleine Comeback des Klassikers: Gerade einmal 38 Millimeter groß, passt sie sich an den üblichen Durchmesser damaliger Herrenmodelle an und wird zum beliebten Accessoire des Schweizer Herstellers.
1990 dürfen sich Liebhaber über die Rückkehr der “echten” Größe von 47,5 Millimetern freuen – die neue Variante verfügt über ein historisches Handaufzugswerk und – typisch Neunziger – schimmerndes Gelbgoldgehäuse.
Auch 2007, zum 80. Jubiläum des Lindbergh-Fluges, setzen die Schweizer Designer auf eine Sonderedition mit goldener Hülle. 2017 folgt die 90th Anniversary Edition: Auf gerade einmal 90 Stück limitiert, ist die schwarz-weiße Neuauflage unserer Meinung nach die gelungenste aller bisherigen Hommagen.
Der Klassiker heute: The Lindbergh Hour Angle Watch
Nach einer langen, vielfach unterbrochenen Produktionsgeschichte ist die Stundenwinkeluhr heutzutage ein fester Bestandteil der Longines Heritage Kollektion.
Ihre Mitglieder – unter denen sich auch die Re-Editions der Weems Navigation Watch und der berühmten Skin Diver befinden – zählen in Expertenkreisen zu den besten und glaubwürdigsten Vintage-Modellen der Branche.
Am Beispiel der modernen Hour Angle heißt das, originale Elemente mit moderner Technik zu verbinden: So ist der Durchmesser von 47,5 Millimetern geblieben, während das automatische Kaliber L699 mit 46 Stunden Gangreserve und einer deutlich besseren Präzision als der Urvater aufwartet.
Auch die römischen Ziffern wurden erhalten, aber im Gegensatz zum Original sorgen blaue und rote Akzente jetzt für eine ansprechendere Erscheinung. Gebläute Zeiger, kratzfestes Saphirglas und ein transparenter Gehäuseboden erhöhen die Attraktivität der neuen Lindbergh Stundenwinkeluhr zusätzlich.
Keinen Mittelweg für die Hour Angle
In Sachen Funktionalität gibt es keine Kompromisse. Damals wie heute besitzt das Fliegermodell ein rotierendes Hilfszifferblatt im Zentrum, um den Sekundenzeiger mit einem externen Funkzeitzeichen abzugleichen und damit die maximale Präzision bei der Längengradberechnung zu erreichen.
Ein Ziel, zu dem die beidseitig drehbare Lünette ebenfalls beiträgt: Sie ist für die Kompensation der täglichen Schwankungen der Zeitgleichung verantwortlich, wobei sie die Differenz zwischen mittlerer und wahrer Sonnenzeit berücksichtigt.
Die ganze, detaillierte Funktionsweise der Stundenwinkeluhr erklären wir in einem separaten Artikel. Wer sich für den Kauf der exotischen Neuauflage interessiert, muss laut Hersteller 4.150 Euro beiseite legen. Sicher kein Schnäppchen, aber mehr Luftfahrtgeschichte am Handgelenk geht nicht.