« Auf diese Gläser setzt der Uhrmacher »
Es schützt vor äußeren Einflüssen, gewährt Einblicke ins Innere und ist wie eine kleine Wissenschaft für sich: Das Uhrenglas. Drei Varianten dieser unverzichtbaren Komponente lassen sich unterscheiden, deren Vor- und Nachteile zur Bildung eines jeden Enthusiasten gehören sollten. Wir erläutern die Besonderheiten von Kunststoff-, Mineral- und Saphirglas, gehen auf ihre Geschichte ein und verraten nützliche Tipps zur Pflege.
Günstig aber kratzempfindlich: Kunststoffglas
Um die Anfänge von Kunststoffgläsern in der Uhrenindustrie zu verstehen, müssen wir die Lage in den 1920ern betrachten: Bis dahin wurden Zeitanzeiger überwiegend mit gewöhnlichem Fensterglas bestückt, dessen hohe Bruch- und Kratzempfindlichkeit bei den immer beliebteren Armbanduhren – die im Gegensatz zu Taschenuhren keinen Deckel besaßen – zum Problem wurde. Als Lösung fräste man zu Beginn der 30er die ersten Uhrengläser aus Kunststofftafeln und benannte sie je nach Hersteller oder Material unterschiedlich: Acrylglas, Plexiglas und Hesalit sind bis heute gängige Begriffe und stehen alle für Kunststoff.
Spätestens in den 50ern setzte sich das Plastik in der gesamten Branche durch und dominierte auch die Luxusklasse. Heute werden Uhrengläser aus Kunststoff meist in der Einsteigerklasse verbaut, sind gelegentlich aber auch in Oberklassemodellen wie der Omega Speedmaster Moonwatch Professional anzutreffen. Ihre Vorteile liegen auf der Hand: Nicht nur sind sie bruchsicher und günstig in der Produktion, sondern spiegeln auch sehr wenig. Demgegenüber steht eine äußerst geringe Kratzfestigkeit von 40 HV (Härte nach Vickers), sodass ein gewöhnlicher Alltagsgebrauch bereits ohne Unfälle Spuren hinterlässt. Im Gegenzug lassen sich diese Kratzer mithilfe einer Polierpaste wie beispielsweise PolyWatch aber sehr leicht aus dem Uhrenglas entfernen. Wohl größter Vorteil von Plexiglas ist jedoch seine Wölbung, die im Vergleich zu anderen Gläsern eine gewisse Wärme und Vintage-Ästhetik ausstrahlt.
Der nächste Schritt: Gehärtetes Mineralglas
Zu Beginn der 1970er rückte Hesalit aufgrund seiner geringen Kratzfestigkeit zunehmend in die Kritik, was in der Entwicklung und breiten Verwendung von Mineralglas resultierte. Dabei handelt es sich um einen sehr ähnlichen Werkstoff zum Fensterglas, der in unbehandeltem Zustand rund 400 HV besitzt und damit rund die zehnfache Kratzfestigkeit der Kunststoffvarianten aufweist.
Bei diesem Uhrenglas liegt der entscheidende Trick in einer chemischen Behandlung, die die Härte des Materials durch Erhitzen und Bedampfen mehr als verdoppelt – in der Regel werden dadurch 900 HV erreicht.
Im Vergleich zu modernen Saphirgläsern ist dieser Wert zwar nicht beeindruckend, aber der damalige Fortschritt gegenüber Kunststoff war beträchtlich. Doch die höhere Kratzfestigkeit hat ihren Preis: Nicht nur zeichnet sich Mineralglas durch eine geringere Bruchsicherheit aus, sondern spiegelt einfallendes Licht auch stärker als Kunststoff und ermöglicht keine Entfernung von Kratzern. Im Falle von Beschädigungen, deren Wahrscheinlichkeit aufgrund der niedrigen Härte im Vergleich zu Saphirgläsern nicht zu unterschätzen ist, bleibt nur der Austausch. Dieser ist jedoch recht günstig; durchschnittliche Mineral-Uhrengläser schlagen mit etwa 30 Euro zu Buche.
Insgesamt sind wir keine großen Freunde dieses Glases, weil es weder den optischen Appeal und die hohe Bruchfestigkeit von Kunststoff noch die vorbildliche Kratzfestigkeit von Saphir zu bieten hat. Nur bei Einsteigermodellen im unteren dreistelligen Preisbereich sind diese Nachteile vertretbar.
Robust und kratzfest: Modernes Saphirglas
Anders als es der Name vermuten lässt, besteht die “Königin der Uhrengläser” nicht aus dem gleichnamigen Edelstein, sondern wird mithilfe eines komplexen chemischen Verfahrens (dem sog. Verneuil-Verfahren) aus Aluminiumoxid gewonnen. Es handelt sich also um einen synthetischen Werkstoff, der kaum etwas mit Glas zu tun hat. In puncto Härte hält Saphirglas aber, was die Bezeichnung verspricht: Satte 2.000 HV garantieren einen exzellenten Schutz vor Kratzern und müssen sich lediglich vor den 10.000 HV eines reinen Diamanten in Acht nehmen. Damit setzt das Uhrenglas Maßstäbe, die spätestens seit Beginn der 1990er zum guten Ton der Luxusklasse gehören und seitdem in immer erschwinglichere Bereiche vordringen.
Tissot beispielsweise verwendet das renommierte Material selbst in seinen Basismodellen für rund 300 Euro. So kratzfest und robust sie auch sein mögen – auch Saphirgläser müssen eine gewisse Kritik ertragen. Wie beim Mineralglas, gehen jegliche Schäden mit der Notwendigkeit eines Austausches einher (welcher hier erwartungsgemäß teurer ist) und die Bruchsicherheit liegt unter dem Niveau von Plexiglas. Hinzu kommt die stärkste Spiegelung aller drei Uhrengläser, welche ein Ablesen unter Sonneneinstrahlung spürbar erschweren kann. Trotzdem sind weit über 90% der Luxusuhren im Uhrinstinkt Sortiment mit Saphirglas ausgestattet.
Aufwertung durch Antireflexionsbeschichtung und Bombierung
In der Praxis spielt letzteres Problem jedoch kaum eine Rolle, weil die meisten Saphirgläser ein- oder beidseitig entspiegelt werden. Dabei erfolgt unter Vakuumverdampfung die Beschichtung mit einem dünnen, möglichst farbneutralen Fremdmaterial zur Beseitigung der Reflexe. Das zugrundeliegende physikalische Prinzip wird auch “destruktive Interferenz” genannt, weil an den Oberflächen von Glas und Antireflexionsschicht verschiedene Anteile des Lichts reflektiert werden, welche sich durch die Überlagerung von Wellen gegenseitig auslöschen.
Selbst unter Wasser können Spiegelungen vollständig eliminiert werden, wie die HYDRO-Technik von Sinn Spezialuhren beweist: Dabei werden Zifferblatt, Zeiger und Werk mit einem speziellen Öl gefüllt, dessen Brechungsindex an jenen des Saphirglases angepasst wird. Eine weitere, beliebte Aufwertung des synthetischen Materials betrifft seine Form: So verwenden Hersteller wie Breitling in vielen Modellen kein flaches, sondern ein gewölbtes (“bombiertes”) Uhrenglas.
Genauso bruchsicher wie flacher Saphir, vereint es die Härte des modernen Werkstoffs mit dem dreidimensionalen Charme von klassischem Hesalit. Zwar wird die Fertigung durch komplexe Schleifverfahren deutlich erschwert, doch der Aufwand lohnt sich: Mit bombiertem und beschichtetem Saphirglas gibt es endlich eine Lösung, die sich aus ästhetischer sowie praktischer Sicht keine Schwächen erlaubt. Königin der Uhrengläser? Ja, aber nur in dieser Form.