Die vergangenen Jahrzehnte haben wiederholt eine positive Korrelation zwischen Wirtschaftskrisen und dem Preisverfall von Luxusgütern aufgezeigt. Ein Mechanismus, den man intuitiv im Zusammenhang mit der aktuellen Corona-Pandemie erwarten würde. Doch in der Uhrenbranche ist das genaue Gegenteil der Fall. Wir erklären, warum Luxusuhren nicht günstiger geworden sind, was Sondermodelle damit zu tun haben und welche Rolle der Onlinehandel spielt.
Das alte Gesetz von Angebot und Nachfrage
Nicht nur Volkswirte wissen, dass Güterpreise entscheidend vom Angebot eine Produktes und seiner Begehrtheit auf dem Markt abhängen. So kostet eine Flasche des Burgunders Romanée-Conti nicht 20.000 Euro, weil sie tausendmal besser schmeckt als ein gewöhnlicher Rotwein, sondern weil eine winzige jährliche Produktionsmenge von Sammlern auf der ganzen Welt nachgefragt wird. Ein konstantes Angebot vorausgesetzt, könnte der Preis nur durch eine Reduktion dieser enormen Nachfrage sinken.
Damit Luxusuhren also günstiger werden, müssen Liebhaber und Sammler in einer Krise deutlich weniger Hublot, Tag Heuer und Co. kaufen als in gewöhnlichen Zeiten. Zu Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 ließ sich diese Entwicklung beobachten: Die Unsicherheit in der Bevölkerung führte zu einer Verlagerung des Konsums von Exklusivgütern auf alltägliche Produkte, was die Luxusuhrenbranche deutlich zu spüren bekam. Viele Modelle wurden günstiger, eine Uhrenkrise schien unausweichlich.
Schnelle Erholung und Boom im Onlinehandel
Zur Erleichterung (und Überraschung) vieler Branchenexperten hielt dieser Negativtrend aber nur kurz an. Bereits nach wenigen Wochen zeichnete sich ein rekordverdächtiger Anstieg der Umsatzzahlen ab, der vom Onlinehandel noch stärker getrieben wurde als von den wiedereröffneten Geschäften. Luxusuhren wurden nicht günstiger, sondern teurer. Im Kontext solch kurzfristiger Preisentwicklungen muss allerdings eine klare Trennlinie zwischen Neu- und Gebrauchtmarkt gezogen werden: Während sich ersterer tendenziell durch starre Preise auszeichnet und Marktentwicklungen kurzfristig keine Effekte auf die Konditionen haben, ist letzterer deutlich volatiler und bildet den Angebots-Nachfrage-Zusammenhang fast perfekt ab. Deshalb sind es vor allem Online-Marktplätze, auf denen sich die Wertsteigerung vieler Modelle seit Mitte 2020 beobachten lässt.
Von wegen Wertverfall: Begehrte Marken werden teurer
Bei diesen Modellen handelt es sich hauptsächlich um jene Zeitanzeiger, die bereits 2018 und 2019 eine massive Wertsteigerung erfahren haben. Das Paradebeispiel ist die Rolex Submariner: Sowohl die neue, im vergangenen Herbst lancierte Generation als auch die älteren Auflagen handeln unverändert hoch über den Listenpreisen. Rund 80 Prozent Aufschlag müssen Interessenten des aktuellen Divers einplanen, wenn sie ihn sofort haben möchten. Auch in der High-End-Liga, wo Patek Phillipes Nautilus und viele Modelle der Audemars Piguet Royal Oak kontinuierlich neue Preisrekorde aufstellen, sind Luxusuhren nicht günstiger geworden. Gleiches gilt für weniger begehrte Hersteller wie Breitling, Tag Heuer oder Omega: Wer aufgrund der aktuellen Lage nennenswerte Preisnachlässe oder Schnäppchen erwartet, wird enttäuscht. Stattdessen zeichnet sich bei diesen Marken eine konstante Entwicklung auf dem Neu- wie Gebrauchtmarkt ab.
Und blickt man auf jene Uhren mit typischerweise starkem Wertverfall (z.B. Blancpain, Girard-Perregaux), lassen sich ebenfalls keine Auswirkungen der Pandemie feststellen. Wie vor der Krise, werden sie werden auf dem Gebrauchtmarkt günstiger. Zusammenfassend hatte Covid erstaunlich geringe Effekte auf die Preise in der Luxusuhrenbranche, weil alle Veränderungen den Trends der Vorkrisenjahre folgen und wahrscheinlich auch ohne das Virus eingetreten wären.
Mehr Aufmerksamkeit durch Sondermodelle
Dass Luxusuhren nicht günstiger geworden sind, ist ein Punkt. Dass manche Modelle gerade wegen der Pandemie eine saftige Wertsteigerung erfahren haben, mag viele Leser zusätzlich verwundern. Dies ist einigen Sondermodellen von Omega passiert. So zum Beispiel der Speedmaster Tokyo 2020 Olympics Collection: Als die Absage der Olympischen Sommerspiele 2020 bekannt wurde, stieg die Beliebtheit der Chronographen auf dem Gebrauchtmarkt sprunghaft an.
Eine Olympiauhr, deren Spiele niemals stattfanden, hat eben ihren besonderen Reiz. Ähnlich verhielt es sich bei der Omega Seamaster zum James-Bond-Thriller “Keine Zeit zu sterben”: Als die Premiere des Kinofilms im März 2020 verschoben wurde, richtete sich die Aufmerksamkeit der Uhrenwelt verstärkt auf alle Editionen, die Agent 007 im Laufe seiner Karriere getragen hat – von der Beliebtheit der neuesten Special Edition ganz zu schweigen. Wie vor der Krise, ist Außergewöhnlichkeit unter Sammlern hoch im Kurs. Welche Gründe für diese Besonderheit verantwortlich sind, spielt keine Rolle.
Warum keine Uhrenkrise?
Wir haben festgestellt, dass Luxusuhren nicht günstiger geworden sind, weil ihre langfristige Nachfrage vom Eintritt der Krise unberührt blieb. Warum diese Nachfrage trotz aller wirtschaftlicher Folgen hoch geblieben ist, ja sogar weiterhin ansteigt, lässt sich mit dem emotionalen Charakter exklusiver Zeitanzeiger erklären. Ihre traditionelle Handwerkskunst, mechanische Faszination und ästhetische Schönheit ist für viele Liebhaber zur Leidenschaft ihres Lebens geworden. An dieser Passion ändert auch eine Krise nichts, zumal die wirtschaftliche Erholung nach dem Einbruch des Frühjahrs schnell erfolgte. Arbeitslosigkeit, Lohneinbußen und Gewinneinbrüche fielen bei Weitem nicht so schlimm aus, wie es einige Prognosen Anfang 2020 vorhersagten. Gründe, warum Luxusuhren günstiger werden sollten, gab es also nicht.
Auch der Onlinehandel und die Hersteller leisteten wichtige Beiträge zur Aufrechterhaltung der Branche. Während digitales Shopping eine kontinuierliche Verfügbarkeit aller denkbaren Modelle garantierte, ließen sich Uhrenmarken wie Rolex, Breitling und Co. vom Ausfall der Messen nur wenig beeindrucken und lancierten im Laufe des Jahres 2020 unzählige attraktive Neuheiten. Auf digitalem Wege, wohlgemerkt. Dadurch blieb das Interesse von Fans, Sammlern und Medien an den edlen Zeitanzeigern erhalten. Das gute Krisenmanagement des vergangenen Jahres macht uns zuversichtlich: Wenn zukünftige Rezessionen mit derselben Souveränität bewältigt werden wie das Jahr 2020, dann steht die Luxusuhrenbranche auf einem sicheren Fundament. Sinkende Preise gehören dann wohl der Vergangenheit an.