« Was meint der Uhrenkenner damit? »
Dass eine Uhr die Zeit möglichst genau anzeigen sollte, hört sich zunächst banal an. Doch welche Anforderungen werden in der Praxis tatsächlich an die Ganggenauigkeit gestellt und welche Abweichungen gelten noch als akzeptabel? Und was hat es mit der häufig erwähnten COSC-Zertifizierung auf sich?
Ganggenauigkeit und Uhrenfehler
Die Ganggenauigkeit lässt sich definieren als Angabe über den jeweiligen Uhrenfehler. Dieser entspricht der Gangabweichung zwischen der von einer Uhr angezeigten Zeit und einem sogenannten Zeitnormal, das als Vergleichsmaßstab dient. In der Praxis dienen als Zeitnormal Uhren, die extrem genau gehen und deshalb zum Einstellen verwendet werden können. Dieser Vorgang wird auch als Kalibrieren bezeichnet. Technisch handelt es sich dabei jeweils um eine Zeitanzeige, die nach aktuellem Stand der Technik den geringsten Gangfehler aufweist. Derzeit sind dies sogenannte Atomuhren.
In jedem Land gibt es eine bestimmte Institution, die für das Zeitnormal zuständig ist. In Deutschland ist dies die Physikalisch-Technische Bundesanstalt mit Sitz in Braunschweig, in Österreich hingegen das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen. In der Schweiz liegt die Zuständigkeit für das Zeitnormal beim Bundesamt für Metrologie. Je stärker die angezeigte Uhrzeit vom Zeitnormal abweicht, desto größer ist der Uhrenfehler.
Uhrstand und Uhrgang
Der Uhrenfehler kann konstant sein, doch ist dies keineswegs immer der Fall. Vielmehr können auch stetig steigende oder fallende beziehungsweise veränderliche Abweichungen der angezeigten Uhrzeit vom Zeitnormal auftreten. Handelt es sich um eine Abweichung, die über längere Zeit hinweg konstant bleibt, dann wird diese in der Fachsprache als Uhrstand beziehungsweise Standfehler bezeichnet. In einem solchen Fall arbeitet der Zeitanzeiger an sich fehlerfrei, es ist lediglich eine Uhrzeit eingestellt, die eine bestimmte Differenz zur gewünschten Sollzeit aufweist.
Angegeben wird der Uhrstand stets in der Weise, wie eine Korrektur vorzunehmen wäre, um die Sollzeit zu erhalten.
So weist eine um 15 Sekunden nachgehende Uhr einen Uhrstand von +15 s auf, denn um die korrekte Zeitangabe zu erhalten, müssen zur angezeigten Zeit jeweils 15 Sekunden addiert werden. Geht das Uhrwerk vor, verhält es sich entsprechend umgekehrt. Vom Uhrstand zu unterscheiden ist der Uhrgang, oft nur kurz als Gang bezeichnet. Dieser entspricht der Ganggenauigkeit im eigentlichen Sinne und gibt die fallende oder steigende Abweichung der angezeigten Uhrzeit vom Zeitnormal im Laufe eines Tages an. Beobachtet man diese Abweichung über längere Zeit, dann lässt sich daraus der mittlere tägliche Gang ermitteln.
Schwankungen im Uhrgang, das heißt, die Differenz zwischen den täglichen Abweichungen, nennt der Fachmann Gangfehler. Ein Gangfehler kann auf unterschiedliche Ursachen zurückzuführen sein. Verschmutzungen und Abnutzungserscheinungen im Uhrwerk kommen dafür ebenso infrage wie bestimmte äußere Einflüsse, etwa Änderungen des Luftdrucks oder der Temperatur. Auch die stetige Lage oder die Art und Weise, wie der Zeitanzeiger getragen wird, kann sich auf seinen täglichen Gang auswirken. Das Bestreben, die Gangabweichungen möglichst gering zu halten, hat im Laufe der Jahrhunderte zu einer Reihe von technischen Innovationen und zu vielfältigen Maßnahmen der Abschirmung von Uhrwerken gegen äußere Einflüsse geführt. Bei hochwertigen mechanischen Modellen mit Räderwerken wird versucht, unvermeidliche Einflüsse von außen und die daraus resultierenden Gangfehler durch sogenannte Kompensationen auszugleichen.
Bei Funkuhren sind derartige Maßnahmen nicht erforderlich, weil die korrekte Zeit dort mithilfe eines Zeitzeichensenders in regelmäßigen Abständen neu justiert wird.
Gangreserve und Ganggenauigkeit
Nicht zu verwechseln mit der Genauigkeit einer Uhr ist die Gangreserve. Die Gangreserve oder Gangdauer entspricht dem Zeitraum zwischen dem vollständigen Aufziehen einer mechanischen Uhr und dem Zeitpunkt, zu dem sie entweder neu aufgezogen werden muss oder stehen bleibt, falls das Aufziehen nicht rechtzeitig erfolgt.
Einen Zusammenhang zwischen der Gangreserve und eventuellen Ungenauigkeiten bei der Zeitanzeige gibt es jedoch trotzdem. Denn die Erfahrung zeigt, dass mechanische Werke umso genauer gehen, je konstanter die Federspannung im mittleren Bereich liegt. Um eine hohe Präzision der Zeitanzeige sicherzustellen, ist es deshalb ratsam, die verbleibende Reserve nicht auszureizen, sondern möglichst regelmäßig so aufzuziehen, dass die Feder möglichst nie vollständig ge- oder entspannt ist. Besonders praktisch ist in diesem Zusammenhang ein Uhrwerk mit automatischem Aufzug, das diesem Ideal relativ nahekommt, wenn die Uhr regelmäßig getragen wird und bei Nichtgebrauch auf einem Uhrenbeweger aufbewahrt wird.
Eine Gangreserveanzeige auf dem Zifferblatt ist eine beliebte Komplikation bei mechanischen Armbanduhren, die vor diesem Hintergrund keineswegs nur eine dekorative Funktion, sondern einen ganz realen praktischen Nutzen hat.
Das Chronometer-Zertifikat – der “Ritterschlag” für besonders genaue Masterpieces
In den meisten alltäglichen Situationen, in denen die Uhrzeit eine Rolle spielt, kommt es weniger auf Sekunden, sondern allenfalls auf Stunden und Minuten an. Gleichwohl ist eine besonders hohe Präzision ein wichtiges Qualitätsmerkmal von Armbanduhren, denn auch Gangabweichungen von nur wenigen Sekunden pro Tag können sich langfristig zu Minuten summieren und die Exaktheit der Zeitanzeige immer mehr beeinträchtigen.
Um die Präzision durch eine neutrale dritte Instanz prüfen und bescheinigen lassen zu können, haben sich bereits im 17. und 18. Jahrhundert sogenannte Chronometerprüfungen etabliert, die zunächst meist von Observatorien durchgeführt wurden. Bis zur Entwicklung der Armbanduhren wurden vor allem Marinechronometer einer solchen Prüfung unterzogen. Dabei handelte es sich um in der Seefahrt zur Navigation verwendete Uhren, an deren Präzision besonders hohe Anforderungen gestellt wurden. Heute wird die Bezeichnung “Chronometer” dagegen auch für Armbanduhren verwendet, sofern diese den entsprechenden Prüfkriterien genügen. Aktuell führen zahlreiche namhafte Luxusuhrenhersteller wie Breitling, Tag Heuer oder Omega Chronometer in ihrem Sortiment.
Bei Rolex ist die Chronometerprüfung sogar standardmäßig für alle Rolex Uhren vorgesehen, doch gibt es auch Manufakturen wie IWC, Breguet und einige andere, die auf eine Prüfung verzichten, obwohl ihre Produkte die Prüfkriterien erfüllen würden.
Ganggenauigkeit per COSC: Prüfinstitutionen und Prüfkriterien für Chronometer
In der Schweiz werden Chronometerprüfungen heute durch die Contrôle officiel suisse des chronomètres (COSC) vorgenommen, die 1973 aus der Zusammenlegung mehrerer halbstaatlicher und privater Laboratorien hervorgegangen war. Anders als die Bezeichnung vermuten lässt, handelt es sich dabei nicht um eine “offizielle” Prüfstelle im Sinne einer staatlichen Institution, sondern um einen Verein nach Schweizer Recht, der von fünf Schweizer Kantonen (Bern, Genf, Neuenburg, Solothurn, Waadt) gemeinsam mit dem Verband der Schweizerischen Uhrenindustrie getragen, aber allgemein als Prüfstelle anerkannt wird.
In Deutschland existiert seit dem Jahr 2006 ebenfalls eine Chronometerprüfstelle in Glashütte, die von der Wempe KG betrieben wird. Die für mechanische Armbanduhren geltenden Grenzwerte entsprechen jenen, die auch die COSC in der Schweiz ihren Chronometer-Prüfungen zugrunde legt, während die Kriterien für Quarzuhren etwas davon abweichen. Eine vollständige Darstellung des Prüfverfahrens würde an dieser Stelle zu weit führen, doch einige Angaben zur Prüfungsdauer, zum Ablauf und zu ausgewählten zulässigen Grenzwerten lassen bereits die Anforderungen erahnen, denen Uhren beziehungsweise Uhrwerke gerecht werden müssen, um das begehrte COSC-Zertifikat zu erhalten und den prestigeträchtigen Hinweis darauf auf dem Zifferblatt zeigen zu dürfen.
So nimmt das gesamte Prüfungsverfahren bei mechanischen Modellen 15 Tage in Anspruch, bei Quarzuhren sind es immerhin noch elf Tage. Bei Uhren mit Handaufzug oder Automatikwerk werden die Gangabweichungen in fünf verschiedenen Lagen bei drei unterschiedlichen Temperaturen ermittelt. Bei Werken mit einem Durchmesser von mehr als 20 Millimetern darf die mittlere tägliche Gangabweichung nicht mehr als zwei Sekunden betragen, bei kleineren Werken dürfen es höchstens 3,4 Sekunden pro Tag sein. Darüber hinaus sind jedoch noch sechs weitere Grenzwerte einzuhalten, wenn das Werk die Prüfung erfolgreich durchlaufen soll.