« Ein Kollektiv und seine Folgen »
Luxuriöse Qualitätsstandards, aufwendige Handarbeit und eine beachtliche Modellvielfalt – so kennen wir Glashütte Original heute. Blickt man 30 Jahre in die Geschichte der sächsischen Marke zurück, ergibt sich jedoch ein völlig anderes Bild: Als verstaatlichte Großfirma “Glashütter Uhrenbetriebe” (GUB) produzierte der Hersteller massenweise günstige Zeitanzeiger für die DDR und den Export. Trotz des kommunistischen Regimes legt die Firma eine beeindruckende Innovationskraft an den Tag, die sich bis heute in den Glashütter Meisterstücken widerspiegelt.
Auf Zerstörung folgt Enteignung
Die ersten 100 Jahre der Firmenhistorie verlaufen weitestgehend friedlich: Ab 1845 im Zuge der Umstrukturierung Glashüttes von einer Bergbau- zur Uhrenstadt entstanden, gelangen zahlreiche Betriebe des Müglitztals zu einem internationalen Ruf für ihre hochwertigen Zeitanzeiger.
Lange & Söhne, Mühle und Tutima sind nur einige von ihnen. Erst der Zweite Weltkrieg soll es sein, der dem Erfolg des Städtchens ein rasches Ende setzt: Anfangs noch zur Produktion von Zündern und militärischen Uhren gezwungen, wird die Industrie Glashüttes am 8. Mai 1945 – dem letzten Kriegstag – von sowjetischen Bombern nahezu völlig zerstört. Es folgt eine grundlegende Umstrukturierung der Glashütter Uhrenproduktion: Während Lange & Söhne 1948 verstaatlicht wird, werden die ebenfalls bedeutenden Manufakturen UFAG und UROFA zur Produktionsgemeinschaft Precis zusammengefasst und 1949 dem Ministerium für Maschinenbau der DDR unterstellt.
Die angestrebte Zusammenlegung aller Firmen zu einem Großbetrieb gelingt zunächst nicht, weil die Besitzverhältnisse rechtlich unklar sind. Erst als 1951 eine komplette Enteignung der beteiligten Manufakturen erfolgt, können die Glashütter Uhrenbetriebe als “Volkseigener Betrieb” (VEB) aus den bisherigen Firmen geschaffen werden. Insgesamt bestehen die GUB aus sechs ehemaligen Unternehmen, von denen Lange & Söhne und Precis die größten sind.
Die Sechziger – erfolgreiches Jahrzehnt der GUB
Auf der Leipziger Herbstmesse 1951 präsentiert das Kollektiv seine erste Modellreihe, wobei die Mechanik zunächst unverändert aus den bisherigen Editionen Lange & Söhne übernommen wird. Noch im selben Jahr erblickt die Kalibergruppe 60 das Licht der Welt: Robust konstruiert, wird sie zum ersten Aushängeschild der Glashütter Uhrenbetriebe. Bis zum Ende des Jahrzehnts gelingt den sächsischen Entwicklern jedoch eine deutlich bessere und flexiblere Serie – die Kalibergruppe 70. Erstmals ermöglicht sie die Fertigung von Automatikuhren und Chronographen, wodurch der “Volkseigene Betrieb” an internationaler Wettbewerbsfähigkeit gewinnt.
Insbesondere der Export nach Westdeutschland spielt für die DDR-Führung aufgrund der wertvollen Devisen eine tragende Rolle. Erfolge wie diese wären ohne den fortschrittlichen Geist der Glashütter Entwickler unmöglich gewesen.
Gleich zwei Meisterleistungen gelingen ihnen innerhalb kürzester Zeit: Während die Stoßsicherung 1962 für eine verbesserte Robustheit sorgt, zählt das Top-Kaliber “Spezimatic” ab 1964 zu den flachsten Automatikwerken seiner Zeit. Bis 1979 werden über drei Millionen Exemplare dieses Antriebs gefertigt, wovon über 30 % unter der Produktbezeichnung “Meisteranker” in den Westen gelangen.
Obwohl günstige Quarzwerke allmählich die mechanischen Antriebe verdrängen, präsentieren die Glashütter Uhrenbetriebe noch einen Nachfolger des Spezimatic – das Spezichron. Bis 1985 produziert, erhöht es die Frequenz seines Vorgängers von 18.000 auf 28.800 Halbschwingungen pro Stunde und zählt heute zu den beliebtesten Sammlerstücken der GUB.
Vom Quarzwerk bis in die Freiheit
Gleichzeitig markiert es das vorläufige Ende der mechanischen Uhrenproduktion Glashüttes. Mitte der Achtziger ist der Kostendruck hoch genug, um eine gänzliche Umstellung auf batteriebetriebene Kaliber rechtzufertigen. Erst 1990, mit dem Zusammenbruch des DDR-Regimes, nimmt der mechanische Uhrenbau in Glashütte wieder Fahrt auf: Nach der Umwandlung der Glashütter Uhrenbetriebe in die noch heute existierende “Glashütter Uhrenbetrieb GmbH” wird das legendäre Kaliber GUB 10-30 vorgestellt, ein zeit- und kostenintensives Projekt der jungen Firma.
Bis 1994 werden 25.000 Werke produziert, doch der Preis der mechanischen Wiedergeburt ist mit 40.000 Werkzeugmacher-Stunden und 2,5 Millionen D-Mark hoch.
Darum beschließt man die Aufteilung in zwei Markennamen: Während Glashütte Original zum Premiumhersteller mit selbstentwickelten mechanischen Kalibern wird, erfolgt der Vertrieb günstigerer ETA-Werke unter der Bezeichnung “GUB”.
Heute: Internationale Spitzenmarke mit bewegter Geschichte
Obwohl Glashütte Original bereits hohe Qualitätsstandards ansetzt, ist das ehemalige DDR-Kollektiv zu Beginn der Neunziger noch weit von den Maßstäben einer Rolex oder Omega entfernt. Kaliber, Gehäuse, Verarbeitung – alle Aspekte der frischen Automatikuhren müssen noch optimiert werden.
Der entscheidende Schritt erfolgt 1994, als die GmbH in den Besitz der Unternehmer Heinz W. Pfeifer und Alfred Wallner gelangt. Mit neuen Uhrwerken, Komplikationen und Designs gelingt es ihnen, die früheren GUB zu einem wettbewerbsfähigen Player der modernen Horologie zu verwandeln. Im Jahr 2000 erfolgt der Verkauf an die Swatch Group, was den Aufbau eines umfassenden Produktportfolios massiv beschleunigt.
Heute, 20 Jahre später, steht die Marke auf einem stabileren Fundament als je zuvor: Kollektionen wie die Senator oder Pano heben sich erfolgreich vom Schweizer Wettbewerb ab, während die Vintage Reihe an die markanten Stile der Sechziger und Siebziger erinnert. Luxus pur statt sozialistisches Kollektiv – kein anderer Hersteller konnte in seiner Firmengeschichte einen solch radikalen Wandel vollziehen.
Schnell vergisst man heutzutage, warum der moderne Erfolg überhaupt möglich ist: Wegen der Vielzahl kreativer Entwickler und Uhrmacher, die in den dunklen DDR-Zeiten alles gaben und an der Weiterentwicklung der Glashütter Uhrenbetriebe arbeiteten. Mögen sie mit Stolz auf die modernen Luxusuhren ihrer Heimatstadt blicken.