« Zum internationalen Renommee Schweizer Uhren haben im Laufe mehrerer Jahrhunderte zahllose bekannte und anonym gebliebene Uhrmachermeister und Unternehmer beigetragen. Doch die Tatsache, dass die eidgenössische Uhrenindustrie auch heute noch – insbesondere am Markt für hochwertige mechanische Uhren – ihre Spitzenstellung behaupten kann, ist vor allem einem Mann zu verdanken: Nicolas Hayek gilt als der Retter, der die Uhrenbranche in der Schweiz vor dem zeitweise fast sicher scheinenden Untergang in der Quarzkrise bewahrt und zu neuer Größe geführt hat. »
Von Beirut nach Biel
Als Nicolas Hayek am 28. Juni 2010 in Biel starb, würdigten die Medien ihn wegen seiner vielfältigen Verdienste als großen Schweizer, dem das Land viel zu verdanken habe. Der Tod hatte ihn im Alter von 82 Jahren ereilt. Doch im Unterschied zu den meisten Menschen seines Alters war dies weder zu Hause, noch im Krankenhaus oder in einem Seniorenheim geschehen. Vielmehr hatte sein Herz am Schreibtisch versagt. Während der Arbeit in seinem Unternehmen, der er bis zum letzten Tag seines Lebens regelmäßig nachgegangen war. Der Gedanke, sich zur Ruhe zu setzen, wäre diesem Vollblut-Unternehmer wohl nie ernsthaft in den Sinn gekommen.
Ironie der Geschichte: Der gefeierte Retter der Uhrenindustrie war ursprünglich gar kein Schweizer, sondern hatte erst 1964 die Staatsbürgerschaft des Alpenlandes erhalten. Sein Geburtsort war Beirut, denn er entstammte einer Familie, die der griechisch-orthodoxen Oberschicht im Libanon angehörte. Sein Vater, ein Zahnchirurg, besaß neben der libanesischen auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft und zog mit seiner Familie 1949 in die Schweiz, wo ab 1950 Hayeks eigentliche berufliche Karriere begann.
Vom Versicherungsmathematiker zum selbstständigen Unternehmer
Nach einem Studium der Mathematik, der Physik und der Chemie trat Nicolas Hayek zunächst in die Mathematikabteilung eines Schweizer Rückversicherungsunternehmens ein, übernahm aber schon bald verschiedene andere Posten in verschiedenen Industriebetrieben, so beispielsweise auch in der Maschinenbaufirma seines Schwiegervaters. Auf diese Weise sammelte er innerhalb weniger Jahre umfassende Managementerfahrungen, die ihm später noch zugutekommen sollten.
Bereits damals fiel Hayek durch sein unkonventionelles Auftreten auf und begann, sich nach einer Beschäftigung umzusehen, in der er jeden Tag etwas dazulernen könne. 1957 nahm er einen Kredit über 4.000 CHF auf und gründete damit seine eigene Firma, eine Unternehmensberatung mit Sitz in Zürich. Das Unternehmen, das 1963 als “Hayek Engineering” ins Schweizer Handelsregister eingetragen wurde, florierte und besteht bis heute. Bis 1979 gelang es ihm, über 300 große Kunden aus mehr als dreißig verschiedenen Ländern zu akquirieren. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor war dabei seine Überzeugung, dass Unternehmertypen im Topmanagement eine der seltensten Ressourcen seien.
Hayeks Einstieg in die Uhrenindustrie
Der Einstieg Hayeks in die Uhrenindustrie ist untrennbar mit der Swatch Group verbunden, zu deren Mitbegründern er zählte und wo er ab 1986 das Amt des Chairmans und Delegierten des Verwaltungsrats übernahm. Seit 1980 hatte er die beiden Uhrenfirmen ASUAG und SSIH als strategischer Berater betreut. Beide Unternehmen waren im Zuge der sogenannten Quarzkrise in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, weil der Siegeszug der Quarzuhren seit den 1970er Jahren die Nachfrage nach mechanischen Uhren immer stärker einbrechen ließ.
Hayeks Rat lautete, die beiden Unternehmen zu fusionieren. Zudem entwickelte er eine neue Strategie und beteiligte sich bei der Fusion im Jahr 1983 auch mit eigenem Kapital an dem neuen Unternehmen. Dieses trug zunächst den Namen SMH, was für Societé de Microélectronique et d’Horlogerie stand, und wurde schließlich im Jahr 1998 in The Swatch Group umbenannt.
Erste Erfolge mit The Swatch Group
Ein erster aufsehenerregender Erfolg war die gelungene Lancierung der Marke Swatch, die für Hayeks revolutionäres Konzept stand, elektronische Qualitätsuhren zu produzieren und damit der zeitweise übermächtig scheinenden fernöstlichen Konkurrenz Paroli zu bieten.
Sein Erfolgsgeheimnis bestand dabei darin, die Zahl der benötigten Einzelteile von 151 auf 51 zu reduzieren, den Mechanismus in einen gespritzten Plastikkörper einzuschweißen und Verkaufspreise von 80 bis 100 Schweizer Franken anzupeilen. Künstler kreierten immer neue Modelle und Kollektionen, und 1984 belief sich die Zahl der verkauften Exemplare bereits auf 800.000 Stück. Parallel dazu widmete sich Hayek jedoch auch der Repositionierung namhafter Uhrenmarken wie Blancpain, Certina, Hamilton, Longines, Omega, Rado und Tissot, die einen guten Klang hatten, aber gleichwohl massiv unter der Quarzkrise litten.
Neben hochwertigen und Luxusuhren lancierte er jedoch auch Produkte wie die billige Kinderuhr Flik Flak – und dies mit großem Erfolg. 1994 lag der Anteil von Schweizer Uhren auf dem Weltmarkt bei 53 Prozent, ein Wert, den noch wenige Jahre zuvor die Uhrenindustrie selbst kaum für möglich gehalten hätte.
Weitere Projekte und Engagements
Parallel zu seinen Aktivitäten in der Uhrenbranche verfolgte Nicolas Hayek auch andere Projekte. So entwickelte er das Konzept eines Mikrokompaktfahrzeugs mit einem Hybrid- oder Elektroantrieb. Seine Kooperationspartner waren zunächst Volkswagen und später Daimler Benz, doch als 1997 die ersten Modelle nur mit herkömmlichen Verbrennungsmotoren vorgestellt wurden, verkaufe Hayek seine Anteile an dem Projekt.
Die Fahrzeuge werden noch heute als Smart von Mercedes hergestellt und vermarktet. Im Rahmen seines Engagements für die Entwicklung von nachhaltigen Energiegewinnungs- und -verwendungstechnologien gründete Hayek noch im Jahr 2007 das Unternehmen Belenos Clean Power. Dieses soll in Kooperation mit dem Paul Scherrer Institut (PSI) die Entwicklung von Autos mit alternativen Antrieben sowie die dafür notwendige Forschung betreiben.
Bleibendes Erbe – nicht nur für die eidgenössische Uhrenindustrie
So bleibt Nicolas Hayek nicht nur als Retter der Schweizer Uhrenindustrie in Erinnerung, sondern auch als erfolgreicher Unternehmer und Visionär, dessen Denken seiner Zeit mitunter deutlich voraus war. Sein Meisterstück ist und bleibt jedoch der Swatch-Konzern. Er ist heute der größte Uhrenkonzern der Welt, erwirtschaftet jährlich Umsätze in Milliardenhöhe und erzielt dabei zweistellige Renditen. Und ohne Hayeks unermüdlichen und ideenreichen Einsatz wären Marken wie Blancpain, Certina, Hamilton, Longines, Omega, Rado oder Tissot heute möglicherweise längst von der Bildfläche verschwunden.
Als Person war der Unternehmer übrigens nicht weniger eindrucksvoll als seine wirtschaftlichen Erfolge. Er präsentierte sich gern als jemand, der Luxus zu schätzen und gut zu leben weiß. Damit entsprach er zwar nicht gerade dem auf Understatement bedachten Typus des diskreten Geschäftsmannes, doch angesichts seiner Erfolge und Verdienste sah man ihm das nach – zumal er dabei immer in dem Ruf stand, fair und menschenfreundlich zu sein.