« Die Erfindung des Tourbillons – Auf den Spuren von Breguet »
Der Wirbelwind, wie sich das französische Wort “Tourbillon” übersetzen lässt, wurde dafür geschaffen, Fehler in der Ganggenauigkeit einer Uhr, die durch die Schwerkraft hervorgerufen werden, auszugleichen. Einfach ausgedrückt funktioniert ein Tourbillon auch wie ein kleiner Wirbelwind: Das Ankerrad, der Anker und die Unruh werden auf einer kleinen Platte montiert, die sich in einem Drehgestell befindet. Das Gestell selbst sitzt in einem Käfig, der von der Welle des Sekundenrades angetrieben wird und dreht sich, ebenso wie das Sekundenrad, um sich selbst. Durch diese Bewegung wird die Anziehungskraft der Erde überwunden und die Ganggenauigkeit der Uhr erhöht.
Komplexe Technik und lange Entwicklungszeit
Der Uhrmacher Abraham-Louis Breguet tüftelte sechs Jahre lang, bis er seine Erfindung 1801 als Patent anmeldete. Zu dieser Zeit war die Taschenuhr der bestimmende Zeitanzeiger. Diese ruhte in der Regel still in der Tasche. Erst wenn sie vom Träger aus der Tasche genommen wurde, änderte sie ihre Position. Das Tourbillon wurde von Breguet speziell für diese Uhren entwickelt und verbesserte deren Ganggenauigkeit enorm. Tourbillons sind filigrane Meisterwerke der Uhrmacherkunst und zudem äußerst komplex. Für die zu dieser Zeit gebräuchlichen Taschenuhren war das Tourbillon von Breguet daher eine hervorragende Erfindung. Dies änderte sich jedoch, als die ersten Armbanduhren zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts auf den Markt kamen. Durch die ständigen Bewegungen, die diese ausgesetzt waren, konnten die Lageveränderungen der Armbanduhren nicht mehr so ausgeglichen werden, wie dies bei Taschenuhren der Fall war.
Gegen die Schwerkraft
Eine Taschenuhr wird vertikal getragen und besonders dann von der Anziehungskraft der Erde beeinflusst, wenn sich die Spirale und die Unruh mit ihrem Schwerpunkt nicht gleichzeitig im Zentrum der Unruhwelle befinden. Dieser Schwerpunktfehler bremst die Rotation der Unruh und führt zur Gangabweichung. Breguet konstruierte mit seiner Erfindung einen Ausgleich zwischen der Erdanziehung und dem Schwerpunktfehler. Dazu montierte er das gesamte Schwing- und Hemmungssystem der Uhr, das aus der Unruh, der Unruhspirale, dem Anker und Ankerrad besteht, in einem sich drehenden Gestell. Dieses sorgt dafür, dass sich die bremsenden und beschleunigenden Momente zum größten Teil gegenseitig aufheben.
Das Schaffen des Abraham-Louis Breguets
1747 wurde Abraham-Louis Breguet in Neuchatel, in der westlichen Schweiz geboren. Sein Stiefvater war Uhrmacher und erkannte schon frühzeitig die Begabung des Jungen für die filigrane Uhrmacherkunst und so schickte er ihn mit gerade einmal 15 Jahren nach Versailles. Dort lernte er bei den damaligen Meistern seiner Zunft und studierte anschließend Mathematik am angesehenen College Mazarin, dem Vorläufer des heutigen Institut de France. Dies ermöglichte ihm, gute Kontakte zu Adligen zu knüpfen, die sich von seinen Kreationen begeistert zeigten. Herrscher aus der ganzen Welt kauften ihre Uhren bei Breguet, darunter Napoleon Bonaparte, der russische Zar Alexander I. und Marie-Antoinette.
Den Beginn Breguets beeindruckender Karriere markierte die Eröffnung seines eigenen Ateliers. Dort konzentrierte er sich zunächst darauf, die bereits bestehenden Uhrwerke zu verbessern und deren Ganggenauigkeit zu erhöhen. Bald darauf machte er durch eine Erfindung nach der anderen von sich reden. Viele seiner Kreationen wurden patentiert: Die Unruh-Stoßsicherung ebenso wie das guillochierte Ziffernblatt und eben 1801 das Tourbillon. Von 1793 bis 1795 emigrierte der begnadete Uhrmacher aufgrund der französischen Revolution in die sichere Schweiz. In dieser und in der Zeit danach erlebte der geschickte Uhrmacher nochmals ein kreatives Hoch, das letztendlich von der Schaffung des Tourbillons gekrönt wurde. 1823 starb Breguet und sein Neffe übernahm die Manufaktur. 1870 wurde sie von der englischen Familie Brown gekauft und erst 100 Jahre später von den Brüdern Pierre und Jacques Chaumet. Sie wollten die bis dahin immer noch renommierte Marke wieder zurück an die Spitze der Uhrmacherkunst führen.
Das Talent zum Uhrenbau blieb der Familie Breguet erhalten. Auch spätere Generationen waren begnadete Konstrukteure und Techniker, wie beispielsweise Charles, der Ururenkel von Abraham-Louis. Dieser war ebenso in der Entwicklung von Flugtechnik tätig und erfand mit dem Drehflügler einen Vorläufer des Hubschraubers. Dabei wurden ganz selbstverständlich auch Chronometer der Marke Breguet eingesetzt. Das gilt für die Erstüberquerung des Südatlantiks per Flugzeug ebenso, wie für den ersten Flug von Paris nach New York.
Die weitere Entwicklung des Tourbillons
Im Laufe der Zeit wurde die technische Innovation weiter entwickelt. Der dänische Uhrmacher Bahne Bonniksen modifizierte die Erfindung von Breguet, wobei er das Federhaus als Rotationslager nutzte und damit eine noch aufwändigere Lösung schuf. Auch das sogenannte fliegende Tourbillon, welches 1920 vom Uhrmacher Alfred Helwig entwickelt wurde, ist eine pfiffige Weiterentwicklung, bei dem das zweite Lager so versteckt ist, dass es den Blick auf die filigranen Rotationen nicht mehr verstellt. Erst im Jahr 1986, bereits zweihundert Jahre nach der Patentanmeldung, wurde die Erfindung von Breguet serienmäßig gefertigt und im flachsten Armband-Tourbillon von Audemars Piguet montiert. Sowohl die fliegende als auch die klassische Variante fanden ihren Weg in die Serienfertigung, wobei letztere hinsichtlich Ganggenauigkeit und Stoßsicherheit die zuverlässigere Ausführung war, da sie die Unterschiede in den einzelnen Lagen besser ausglich. Allerdings ist die Schönheit eines fliegenden Tourbillons in ihrer Ästhetik kaum noch zu übertreffen. Bei dem Gyro-Tourbillon, welches von Jaeger-LeCoultre entwickelt wurde, wird die Unruh von einer komplizierten Mechanik gleich um drei Achsen gedreht. Und die Entwicklung geht immer weiter: Heute ist der deutsche Uhrmacher Thomas Prescher mit seinen Doppel-Achs-Tourbillons am Puls der Zeit.
Das Tourbillon in modernen Uhren
Auch wenn das Tourbillon für Armbanduhren nicht mehr die Relevanz hat, wie es noch für Taschenuhren der Fall war, so ist die Erfindung von Breguet dennoch ein Meilenstein des Uhrmacherhandwerks. Viele Freunde hochwertiger Uhrmacherwerke lassen sich noch immer gerne von dem filigranen Käfig faszinieren, der sich sekundenschnell dreht.
Das einst von Breguet für die Taschenuhren entwickelte Tourbillon ist heute eine luxuriöse Exklusivität, die vor allem als Statussymbol und als elegantes Accessoire im Accessoire fungiert. Viele namhafte Manufakturen, vor allem die, die im oberen Luxussegment tätig sind, verzeichnen Uhren in ihren Kollektionen, die diese technisch aufwändigen Komplikationen beinhalten. Da es viel zu schade wäre, wenn deren Schönheit unter einem Deckel versteckt und nicht sichtbar wäre, sind die kleinen Kunstwerke der Haute Horlogerie durch das Uhrenglas deutlich sichtbar. Die Geschichte des Tourbillon ist also noch nicht zu Ende.