« Eigenanfertigung oder Fremdnutzung in der Uhrenbranche »
Selbst herstellen oder herstellen lassen? Nahezu jedes Fachgespräch zum Thema mechanischer Uhren endet in einer Diskussion über Manufakturkaliber und zugekaufter Werke. Aber welche Faktoren beeinflussen die Make-or-Buy-Entscheidung der Hersteller? Ist die Eigenanfertigung in jedem Fall überlegen? Wir stellen die Vorzüge beider Alternativen gegenüber und erklären, welche Manufaktur- und Standardwerke die einflussreichsten Modelle der Branche sind.
Was besagt die Make-or-Buy-Entscheidung?
Das Uhrwerk steht buchstäblich im Zentrum jedes mechanischen Zeitanzeigers und stellt seine Marke vor eine Schlüsselfrage: Soll der Antrieb in aufwendiger Arbeit selbst entwickelt und produziert (“make”) oder von einem spezialisierten Werkebauer wie ETA hinzugekauft werden (“buy”)? Was für den Enthusiasten primär eine emotionale Frage darstellt, ist für Uhrenhersteller von enormer wirtschaftlicher Tragweite und keineswegs eine binäre Entscheidung. Selten sind ein kompletter Zukauf oder eine hundertprozentige Kaliberfertigung “In-House” gegeben; vielmehr werden Teilprozesse wie die Veredelung oder der Zusammenbau des Werkes in Eigenregie übernommen. Ab wann ein Kaliber den begehrten Namen “Manufakturwerk” tragen darf, ist nicht gesetzlich festgelegt und somit den individuellen Vorstellungen einer jeden Uhrenmarke überlassen.
Prestige zum hohen Preis: Der Manufakturstatus ist begehrt
Echte Manufakturwerke sollten aus eigenständiger Entwicklung stammen und den Großteil ihrer Wertschöpfungskette im Hause des jeweiligen Herstellers durchlaufen, so die allgemeine Auffassung. Handarbeit muss entgegen der Wortbedeutung nicht gegeben sein, wie zahlreiche massentaugliche Manufakturwerke vom Breitling B01 bis zum Heuer 02 beweisen.
Doch selbst ohne handwerkliche Eingriffe ist die Eigenanfertigung mit enormen Kosten verbunden: Entwirft eine Uhrenmarke ein neues Werk, müssen hunderte Komponenten über Monate bis Jahre hinweg entwickelt, maschinelle Fertigungsverfahren angepasst und Tests durchlaufen werden, bis die Serienreife eintritt. Der Prozess verschlingt Millionen, birgt finanzielle Risiken und erfordert strategische Weitsicht. Kostengünstiger, schneller und sicherer wäre der Griff ins bewährte Regal von Rohwerkeproduzenten. Doch das enorme Prestige einer “Manufaktur”, wie Hersteller mit selbstentwickelten Werken in der Fachwelt ehrfürchtig betitelt werden, ist Grund genug für den steinigen Weg zum eigenen Kaliber.
„Aus eigener Fertigung“ ist immer attraktiver
Egal, wie verlässlich und solide ein Sellita-Werk arbeiten mag: Für die meisten Uhrenliebhaber ist die Anziehungskraft des Manufakturwerks unersetzlich. Es beweist die technische Kompetenz der Marke, liefert ein magisches Gefühl der Vollständigkeit und steigert die Zahlungsbereitschaft enorm. Es herrscht die Tendenz, dass mechanische Uhren mit Manufakturwerk teurer als ihre standardbetriebenen Konterparts sind. Um eine simple Make-or-Buy-Entscheidung geht es bei Uhrwerken längst nicht mehr: Der langfristige Markenwert und die Frage, ob man in der ersten oder zweiten Liga spielen will, sind unmittelbar betroffen.
ETA, Valjoux und Co.: Die Vorzüge der Standardwerke
Setzt man auf nüchterne Argumente statt Prestige-getriebenes Kräftemessen, bieten zugekaufte Standardkaliber der großen Werkeproduzenten nicht nur aus finanzieller Perspektive klare Vorteile gegenüber den Manufakturwerken. In der Preisklasse bis 1.000 Euro fast ausschließlich und bis 5.000 Euro häufig genutzt, punkten sie mit jahrzehntelanger technischer Ausgereiftheit, die in hoher Verlässlichkeit und Präzision resultiert. Zudem lassen sich Standardwerke unkompliziert und kostengünstig bei nahezu jedem Uhrmacher warten, während Manufakturwerke eine Überholung beim Hersteller zu dessen (typischerweise höheren) Konditionen erfordern.
Der größte Rohwerkeproduzent ist die Schweizer ETA SA: Zum Swatch-Konzern gehörend, beschäftigt der 1793 gegründete Betrieb über 8.000 Mitarbeiter und ist für dutzende prominente Marken die erste Adresse des “Buy” in der Make-or-Buy-Entscheidung. Die prominentesten Uhrwerke sind:
- Kaliber 2824-2: Liebevoll “Panzer” genannt, gilt das Basiswerk als besonders zuverlässig und ist in der Uhrenbranche extrem weit verbreitet. Mit vier Hertz tickend, spendiert es von Hamilton bis Tudor dutzenden Marken nahezu unkaputtbare Power.
- Kaliber 7750: Das berühmteste Chronographenwerk der Welt. Tag Heuer, Omega, IWC: Viele prominente Marken nutzen das 7750 als Basis für ihre Eigenentwicklungen. Als 7751 mit Kalender und Mondphase.
- Kaliber 2892-A2: Beliebte Basis für technische Hochentwicklungen wie das erste Co-Axial-Kaliber von Omega aus dem Jahr 1999. Häufig um hauseigene Chronographenmodule der Hersteller erweitert, wie bei Tudor.
Hersteller wählen bei ETAs Kalibern abhängig vom Budget zwischen vier Qualitätsstufen (Standard, Elaboré, Top und Chronomètre) und verleihen ihnen oftmals eigene Namen. Hinterfragen Sie beim Uhrenkauf immer das Basiswerk, um Klarheit über die Herkunft zu erlangen. Manufakturwerke werden meist prominent beworben.
Vom “Einschaler” zur Manufaktur
Viele Marken, von denen man aufgrund ihres Prestiges und ihrer Preisklassen ausschließlich Manufakturwerke erwarten würde, kauften ihre Kaliber jahrzehntelang hinzu. Rolex nutzte in der Daytona einst Zenith-Werke, Patek Philippe und Vacheron Constantin bezogen ihre Antriebe von Jaeger-LeCoultre und Omega rüstete seine Speedmaster mit Lemania-Kalibern aus. Die Make-or-Buy-Entscheidung auf möglichst wirtschaftliche Weise zu lösen, war früher selbst in der Luxusklasse der Standard und wurde nicht negativ betrachtet; erst in den letzten 20 Jahren ist die Bedeutung des Manufakturkalibers enorm gestiegen. Rolex beispielsweise verbaut heutzutage ausschließlich Manufakturwerke mit einer Fertigungstiefe nahe der magischen 100 Prozent.
Ein Paradebeispiel für die Entwicklung vom bescheidenen “Einschaler”, wie Uhrenmarken mit reinem Zukauf oftmals mit einer gewissen Herablassung genannt werden, zur ernsthaften Manufaktur liefert NOMOS Glashütte. Frisch nach der Wende im Jahr 1990 gegründet, greift das Unternehmen bis zur Vorstellung des hauseigenen Alpha-Kalibers im Jahr 2005 zu ETAs Werk Peseux 7001. Selbst das Alpha weist noch hohe Ähnlichkeiten zum 7001 auf. Der große Durchbruch erfolgt 2014 mit dem “Swing”-System, einem komplett eigenständig entwickelten Regulierorgan. Kaliber wie das DUW 3001 zeugen seitdem von einer Ingenieurskunst, die wenige andere Uhrenmarken vorweisen können.
Bestes Manufakturkaliber aller Zeiten? Rolex, Omega, Zenith und Co.
Prominenter ist das Rolex 3135, von Liebhabern oftmals als “bestes Automatikwerk aller Zeiten” bezeichnet. 1988 eingeführt, wurde es von der simplen Datejust bis zur wasserdichten Submariner in mehr Rolex Uhren als jedes andere Uhrwerk verbaut und leistet seit Jahrzehnten verlässliche Dienste. 48 Stunden Gangreserve sind zwar keine Sensation, die Robustheit des Werkes gegenüber Störeinflüssen – von Magnetismus bis hin zu Stößen ist jedoch legendär. Dass sich die Genfer Luxusmarke in der Make-or-Buy-Entscheidung für eine klare Seite entschieden hat, demonstrieren auch die Derivate des Kalibers: So wurde ab 2005 das Rolex-Kaliber 3186 in der GMT-Master II genutzt und erst 2018 durch das 3285 ersetzt.
Geht es um Chronographenwerke, ist ein Name in der Uhrenwelt auf positive Weise berüchtigt: das Zenith El Primero. Erstmals 1969 vorgestellt, begeistert es bis heute seine Fans durch seine Hochfrequenz von fünf Hertz. Auch Omegas moderne Werke spielen in der obersten Liga: Modelle wie das Master Chronometer Kaliber 9900 begeistern durch eine extreme Magnetresistenz, besitzen das hart umkämpfte METAS-Zertifikat und gelten als hochgradig funktionssicher.